Interview zum jährlichen Internationalen Tag des Chronischen Erschöpfungssyndroms

Das Chronische Fatigue-Syndrom (CFS, früher „Chronisches Erschöpfungssyndrom“), ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die nicht erst seit Corona bekannt und relativ weit verbreitet ist. Was sich dahinter verbirgt und was Betroffene tun können, fragen wir Arpad Grec, Chefarzt der Psychosomatik in der Rehaklinik Bad Bocklet.

Herr Grec, was ist unter dem Chronischen Fatigue-Syndrom zu verstehen?

Arpad Grec: Hierbei handelt es sich um eine schwere körperliche Erkrankung, die sich häufig nach einer vorangegangenen Infektionskrankheit ausbildet. Das Krankheitsbild ist sehr komplex und wird meist als neuroimmunologische Krankheit definiert, die das Nervensystem und das Immunsystem betrifft. In Skandinavien und Großbritannien wird es auch als Myalgische Enzephalomyelitis (ME) bezeichnet, also eine Entzündung von Gehirn und Rückenmark mit Muskelbeschwerden. Schon bei der diagnostischen Bezeichnung soll damit deutlich gemacht werden, dass es sich hier nicht nur um eine pathologische "Erschöpfung" oder "Müdigkeit" handelt, sondern dass wir es mit einer komplexen körperlichen Problematik zu tun haben.

Mit welchen Symptomen geht CFS/ME einher?

Das Krankheitsbild ist vielfältig, komplex und von Patient zu Patent verschieden. Im Vordergrund steht die immense und stark belastende Erschöpfung und Ermüdbarkeit. Geistig kommt es zu Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen. Schon eine kleine Anstrengung kann (häufig mit einer Verzögerung von bis zu 24 Stunden) zu einer Verschlechterung der Symptome führen. Außerdem treten unglaublich variable und individuell unterschiedliche körperliche Beschwerden auf.

Hinzu kommen sehr unterschiedliche Beschwerden des Nervensystems wie Übelkeit, Schwindel, Herzrhythmusstörungen und Appetitverlust sowie des Immunsystems, wie neu entwickelte Allergie/Überempfindlichkeit oder influenza-ähnliche Symptome.

CFS-Symptome

Fatigue

eine neu aufgetretene körperliche und geistige Erschöpfung welche auch durch lange Ruhepausen nicht gebessert wird und die zu einer enormen Einschränkung in der alltäglichen Leistungsfähigkeit führt.

Post-exertional Malaise

nach körperlicher oder geistig/seelischer Belastung kommt es zu extrem ausgeprägter Erschöpfung , allgemeinem Krankheitsgefühl, Schmerzen und weiteren körperlichen Symptomen.

Schmerzen

Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen und andere Lokalisationen von Schmerz.

Schlafstörungen

keine Erholung in den Schlafphasen, Tagesmüdigkeit, Störung des Schlaf/Wach Rhythmus.

Wie entsteht ein CFS?

Leider sind die Ursachen weitgehend unbekannt. Da das CFS sehr häufig nach einer vorangegangenen Infektion auftritt ist es naheliegend, eine Autoimmunerkrankung anzunehmen. Aktuell vorliegende Forschungsergebnisse deuten tatsächlich darauf hin, dass sich das körpereigene Abwehrsystem aufgrund noch unbekannter Faktoren gegen körpereigene Strukturen wendet. Des Weiteren wird eine schwere Störung des Energiestoffwechsels diskutiert und erforscht.

Lassen die Symptome eindeutig auf ein CFS schließen?

Es gibt mehrere Diagnosen, die sehr ähnliche Symptome aufweisen und die man sehr feinfühlig voneinander unterscheiden muss:

  • das hier besprochene CFS
  • das häufige Fatigue-Syndom bei schweren Erkrankungen
  • das Burn-Out-Syndrom
  • sämtliche Formen der Depression

Da alle diese Krankheiten unterschiedliche Ursachen haben und, noch viel wichtiger, unterschiedlich behandelt werden, ist eine sehr kompetente und umfassende Diagnostik erforderlich. Dies erfordert auf jeden Fall einen Arzt, der sich gut mit diesen Diagnosen auskennt. Besonders bei der Unterscheidung Depression/CFS lohnt es sich häufig, einen Facharzt für Psychiatrie oder Psychosomatik mit einzubinden.

Wie lässt sich ein CFS konkret von einer Depression unterscheiden?

Die Unterscheidung zwischen CFS und Depression ist eine ärztliche Kunst im wirklichen Sinne des Wortes. Beide Krankheitsbilder können nämlich auf den ersten Blick identisch wirken: Betroffene berichten von Niedergeschlagenheit, Erschöpfung, Antriebsverlust, Kraftlosigkeit. Die Stimmung ist schlecht, traurig, gedrückt, der Schlaf schwer gestört. Es zeigen sich körperliche Symptome, häufig Schmerzen mit unterschiedlicher Lokalisation. Diese Symptombeschreibung trifft sowohl für CFS als auch für die meisten Depressionen zu.

Wie immer beginnt die Diagnostik mit der genauen Befragung des Patienten. Tatsächlich weiß dieser selbst meist am Besten zu unterscheiden: Das CFS beginnt häufig nach einer Infektion, das kann schon eine leichte Grippe gewesen sein, an die sich der Patient nur erinnert, wenn man ihn gezielt fragt. Das CFS manifestiert sich dann als die oben beschriebene Symptomatik, vor allem mit einer alles umfassenden Erschöpfung. Im Zuge dieser Erschöpfung schleichen sich langsam depressive Symptome ein, weil die körperliche und seelische Situation des Patienten sich kontinuierlich verschlechtert. Die Depressivität ist also eine Reaktion auf die Belastungen durch das CFS.

Bei der Depression steht das zunehmende Gefühl von Niedergeschlagenheit, Traurigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Antriebsverlust im Vordergrund. Im weiteren Verlauf kommt es dann zu einer kontinuierlichen Erschöpfung und Leistungsminderung. Die Erschöpfung ist also oft eine schleichende Folge der fortschreitenden Depression.

Weitere diagnostische Hinweise liefert die bisherige Behandlung. Denn häufig erhalten sowohl Patienten mit CFS als auch solche mit Depression antidepressive Medikamente. Während Antidepressiva gut bei Depressionen wirken, sind diese Medikamente bei weitem nicht so effektiv bei der CFS. Oftmals kann es sogar zu einer Verschlechterung der Beschwerden kommen. Hat der Patient bereits Erfahrung mit dieser Medikation gesammelt, können wir diese nutzen, um die Diagnose weiter abzusichern.

Und schließlich ist es diagnostisch wertvoll, wie der Patient auf aktivierende therapeutische Maßnahmen reagiert. Patienten mit einer Depression reagieren meist positiv und mit einer Stimmungsverbesserung auf Bewegungstherapie, körperorientierte Behandlungen wie Tanztherapie, Sport und ähnliches. Bei einem Patienten mit CFS können solche aktivierenden Maßnahmen dagegen sehr schnell und sichtbar zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes führen.

Was können Betroffene selbst tun, um ihre Situation zu verbessern?

Äußerst wichtig für die Betroffenen ist, sich der Diagnose bewusst zu sein und zu wissen, was es mit dieser Erkrankung auf sich hat. Der erste Schritt ist, Kontakt mit einem Arzt zu haben, der sich mit dieser Krankheit auskennt.

Darüber hinaus ist es immens wichtig, dass Betroffene in ihrem persönlichen Umfeld offen mit ihren Symptomen und den damit verbundenen Einschränkungen umgehen. Wenn Familie, Freunde und Arbeitskollegen über die Erkrankung informiert sind, hilft das enorm. Betroffene schützen sich damit zudem davor, Schuld- oder Schamgefühle aufgrund ihrer „Müdigkeit“ oder mangelnden Leistungsfähigkeit zu entwickeln.

Und schließlich gibt es mittlerweile in größeren Städten Fachambulanzen für die Diagnostik und Behandlung der CFS. Im Internet sind sowohl Fachambulanzen wie auch Webseiten mit guten und umfassenden Informationen, Selbsthilfegruppen, Ärzte und Therapeuten zu finden, die sich auf die Diagnose CFS spezialisiert haben.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es darüber hinaus, um Betroffenen zu helfen?

Es gibt noch keine spezifische Medikation zur Behandlung des CFS. Begleitsymptome wie Schmerzen können und sollten mit entsprechenden schmerzlindernden Substanzen, Therapien und Anwendungen behandelt werden. Psychotherapeutische Verfahren wie die Verhaltenstherapie können den Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen und Entspannungsverfahren wie autogenes Training haben einen nachweislich positiven Effekt.

Wichtig für Betroffene ist ein geregelter Tagesablauf und das Vermeiden von Überanstrengung und Überbelastung, die durchaus eine Krankschreibung rechtfertigen kann. Mithilfe der in den 1980er Jahren entwickelten spezifischen "Pacing-Therapie" („Im richtigen Tempo vorangehen“) können Betroffene ihre sehr individuelle Balance zwischen zu wenig und zu viel Belastung finden und halten, um in diesem „Belastungskorridor“ ihre Beschwerden zu mindern. Patienten im erwerbsfähigen Alter können hierzu eine unterstützende Rehabiliationsmaßnahme beantragen. In unserem Rehazentrum entwickeln wir gemeinsam mit jedem Patienten eine individuelle Mischung aus moderaten sportlichen Therapien und Entspannungsverfahren, um die persönliche Grenze zwischen förderlicher Aktivität und ungesunder Überforderung auszuloten.

Nähere Informationen zur Pacing-Therapie stellt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS unter www.mecfs.de zur Verfügung.

 

Über die Kliniken Bad Bocklet AG

Die Kliniken Bad Bocklet AG betreibt an ihren Standorten in Bad Bocklet und Bad Kissingen staatlich anerkannte private Rehakliniken mit Versorgungsverträgen für alle Krankenkassen und Rentenversicherungsträger. Sie bietet Heilverfahren, Anschlussheilbehandlungen und präventive Gesundheitsleistungen in den Bereichen Innere Medizin mit Urologie und Onkologie, Geriatrie, Orthopädie und Psychosomatik an. Die Unternehmensgruppe versteht sich als regionaler Gesundheitsdienstleister in Unterfranken mit einem überregionalen Einzugsgebiet. Um den eigenen Qualitätsanforderungen gerecht zu werden, setzen die Kliniken bereits in vielen Bereichen fortgeschrittene Informationstechnologie ein. Weitere Informationen unter www.kbb.de.

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